Ein Interview mit Olympia-Turmspringerin Marion Reiff
Profi-Sportlerin Marion Reiff blickt zurück auf eine siebzehnjährige Karriere als 10m-Turmspringerin. Als Leistungssportlerin beim österreichischen Bundesheer kämpfte sie auf Weltniveau.
Ihrer Verpflichtung, jahrelang gute Ergebnisse abzuliefern, wurde sie mit hohen Platzierungen bei Wettkämpfen im 10 Meter Synchronspringen und 10 Meter Einzel Turmspringen gerecht. 2000 und 2004 trat sie bei den Olympischen Spielen an, wobei sie in Sydney den 4. Platz beim 10 Meter Synchronspringen ergatterte. Sie war mehrfache österreichische Staatsmeisterin im Einzelspringen und erzielte Top-Platzierungen bei EM- und WM Teilnahmen zwischen 1997 und 2006.
Heute arbeitet Marion Reiff als Pilates Trainerin, Certified Rolfer® und Wassersprung Trainerin in Wien.
In diesem Interview beantwortet sie Fragen zu den Herausforderungen, die Leistungssport an den Körper stellt, ihre persönliche Bewältigung der Folgen ihrer aktiven Profisport-Karriere und über die Erkenntnisse, die sie durch ihre Rolfing® Ausbildung gewonnen hat.
Welche Ansprüche stellt der Leistungssport an deinen Körper?
Extreme. Als Turmspringerin wird deine Haltung bewertet. Das heißt, jede Bewegung muss perfekt sitzen. Die Bewegungsabläufe müssen immer gleich und vollkommen sein, es darf beim Eintauchen ins Wasser nicht spritzen, jede Bewegung muss genau getaktet ablaufen.
Hinzu kommen körperliche Beschwerden durch die besondere Beanspruchung. Wie die meisten 10 Meter Turmspringer hatte ich die größten Probleme mit den Handgelenken – sie müssen einem unglaublichen Druck standhalten und werden bei jedem Kopfsprung gestaucht. Besonders in den letzten 4-5 Jahren meiner aktiven Karriere litt ich unter Ödemen durch diese ständige Belastung.
Trotz meiner wunderbaren Physiotherapeuten, die sich meinen Schmerzen widmeten und die Ödeme in meinen Handwurzelknochen bearbeiteten, hatte ich damals nicht die Zeit, die eine wirkliche Regeneration gebraucht hätte. Ein olympischer Arzt hat mir damals prognostiziert, dass meine Handgelenke so ruiniert seien, dass ich nie manuelle Therapeutin werden könnte.
Kanntest du Rolfing® Strukturelle Integration während deiner aktiven Zeit und wie hat es dir geholfen?
Leider kannte ich Rolfing während meiner aktiven Zeit nicht – es hätte aber durchaus Sinn gemacht!
Es wäre gut gewesen, nach Ursachen für meine Schmerzen zu suchen, anhand der richtigen Art der Faszienbearbeitung die Selbstheilung zu initiieren. Meine Therapeuten haben mit Ultraschall an den Handknochen lokal gearbeitet, aber nicht ganzkörperlich, holistisch. Besonders als präventive Maßnahme und zur Regeneration wäre Rolfing hilfreich gewesen.
Ein Rolfer wäre z.B. der Frage nachgegangen, warum auf diese Stelle so ein enormer Druck kommt, warum der Körper dies nicht selbst kompensieren kann, welche anderen Körperregionen beteiligt sind. Beim Springen ist der gesamte Körper involviert, der Druck auf die Handgelenke setzt sich in den Armen, Schultern, Nacken und im ganzen restlichen Körper fort. Leider richtete sich immer die Aufmerksamkeit auf das Ödem in den Handwurzelknochen, das fasziale Spannungssystem der Arme wurde nicht berücksichtigt.
Ich kam immerhin in den Genuss, anhand Rolfing die Spätfolgen des Leistungssports zu bewältigen. Nach Ende meiner aktiven Karriere haben sich meine Handgelenke in einem Jahr so erholt, dass ich seitdem wieder problemlos Handstand machen kann – und ich kann wunderbar mit meinen Händen arbeiten.
Wie kam es dazu, dass du Rolfer® geworden bist?
Als Leistungssportler kommst du in die Situation, dass du nach deiner sportlichen Karriere einen beruflichen Neustart machen musst. Du betrittst neues Terrain – psychisch und physisch. Über die Entscheidung, wie es weitergehen soll, habe ich mir während meiner Schwangerschaften und Elternzeiten Gedanken gemacht.
Mir war klar, ich wollte in meinem neuen Lebensabschnitt etwas Fundamentales, Sinnvolles machen. Pilates Trainerin war ich schon, aber ich wollte gerne zusätzlich mit den Händen arbeiten. Als ich überlegte, ob Physiotherapie, Osteopathie oder Shiatsu passende Qualifikationen für mich sein könnten, ließ ich mir Rolfing Strukturelle Integration von meiner Freundin Eva-Maria Danko-Bodenstein zeigen.
Nach 5 Minuten auf ihrer Liege wusste ich, das will ich können. Ich nahm die gesamte Rolfing 10er-Serie in Anspruch, die mich so in ihren Bann zog, dass ich mich daraufhin für die Ausbildung zum Certified Rolfer® registrierte.
Was hast du durch Rolfing® gelernt, was dir bezogen auf den eigenen Körper von Nutzen war?
Zunächst hat mich Rolfing bei meinem Neustart unterstützt. Wenn man mit etwas abschließt, muss man ein neues Bild von sich selbst kreieren, körperlich und mental. Man fängt mit dem Körper einen neuen Lebensabschnitt an, weil der Körper jetzt anders gebraucht wird. Die Rolfing 10er-Serie ist ein wunderbarer Prozess, wenn man bereit ist, Veränderungen zuzulassen. Für mich war dies ein Prozess wie beim Sporttraining, bei dem ich mich selbst dabei beobachten konnte, wie ich mich Schritt für Schritt verändert habe für mein neues Leben.
Dank Rolfing habe ich einen neuen Blick auf den Körper gewonnen. Der Körper profitiert von vielseitigen Bewegungserfahrungen und Bewegungsmustern. Als Wasserspringerin habe ich es nicht gewagt, von meinen eintrainierten Bewegungen abzuweichen geschweige denn, diese zu verändern, auch nicht im Alltag. Ich hatte Sorge, meine idealen Bewegungsabläufe für das Springen zu verlieren. So ging es in meinem Aufbautraining zwischen den Wettkämpfen auch mit anderen Sportarten wie Pilates und Ballett immer um ein gut trainiertes Core für meine stabile, perfekte Haltung.
Rolfing hat mir beigebracht, dass das Core auch mal locker sein darf. Ich konnte dadurch meinen Bewegungsspielraum erweitern und habe eine entspanntere und freiere Version von mir selbst kennengelernt. Ich bin mir meiner eingeschlichenen Muster bewusst geworden und konnte sie ändern, was meinem Körper bei der Regeneration sehr geholfen hat.
Zum Glück hatte ich neben den Ödemen in den Handgelenken wenig gravierende Folgeschäden nach meiner Leistungssportkarriere - mir blieben Bandscheiben-, Kreuz- und Nackenprobleme weitgehend erspart. Allerdings habe ich eine verstärkte Kyphose der Brustwirbelsäule (Buckel). Dieser sportgemachte Buckel bildete sich trotz meines Haltungsbewusstseins, trotz des Pilates.
Natürlich ging es mir darum, diesen Buckel optisch mit Rolfing zu verbessern. Dies funktionierte auch in gewissen Maßen. Wichtiger als die Beseitigung des Buckels war es aber, die bestehenden Kurven der Wirbelsäule so gut aufeinander auszurichten, dass sie ideal miteinander harmonieren. Heute akzeptiere ich meine Kyphose als eine gut ausgeprägte Wölbung der Wirbelsäule (Rundrücken).
Dank Rolfing habe ich verstanden, dass ich nicht mehr dauernd die perfekte Haltung einnehmen muss, um einem Punkterichter oder den Ansprüchen des Pilates zu genügen. Solange mein Körper funktioniert, darf ich mich auch mal hängenlassen. Wichtig ist, dass sich mein Körper wieder aus der Position herausbewegen kann. Haltung ist nicht statisch, wir sind ständig im Wandel und in Bewegung. Daher sage ich auch zu meinen Klienten: ‚die beste Haltung ist die nächste Haltung‘. Wichtig ist die Fähigkeit, unterschiedliche Körperhaltungen einnehmen zu können.
Was würdest du als ehemalige Leistungssportlerin und Rolfer® anderen Sportlern empfehlen?
Ich empfehle jedem Sportler, sein sportliches Training mit Rolfing präventiv zu unterstützen.
Rolfing eignet sich als extra Trainingsmaßnahme z.B. in der Pause vor dem nächsten Saisonstart. Dadurch bietet sich die Chance, andere Haltungen und verschiedene Muster auszuprobieren, alternative Bewegungsabläufe zu erlernen. Dies erweitert den Fokus und die Möglichkeiten.
Gerade junge Sportler sind sehr offen für neue Bewegungsabläufe, wovon der Körper profitiert. Später wird es koordinativ schwieriger, von der scheinbar idealen Bewegung abzuweichen und neue Bewegungsreize zuzulassen. Wenn du dies frühzeitig beginnst, kommst du immer wieder nach Wunsch in das alte Muster zurück, aber du kannst wechseln, adaptieren, die freiere Version wählen oder entscheiden, in das vertraute Muster zurückzugehen.
Dies ist auch besonders wichtig für die Regenerationsphasen, in denen Rolfing dabei helfen kann, eingeschlichene Muster zu verändern, die den Körper belasten.
Bei Verletzungen, oder wenn sich der Wirbel beispielsweise einmal ausrenkt, gehe ich zum Chiropraktiker oder Physiotherapeuten, damit er wieder eingerenkt wird. Wenn sich mein Wirbel allerdings immer wieder ausrenkt, dann muss ich mich fragen, warum das passiert. Dann gehe ich zu einem Rolfer.
Als was arbeitest du heute? Pilates Trainerin oder Rolfer®?
Ich arbeite als Rolferin, Pilates Trainerin, als Wassersprunglehrerin, Lehrbeauftragte an der Sportuni Wien und als Punkterichterin, z.B. beim Red Bull Cliff Diving und High Diving. Für mich passt das inhaltlich und zeitlich gut zusammen. Pilates würde ich nicht missen wollen, aber Rolfing hat definitiv den höheren Stellenwert.
Heute fließt mein Rolfing-Blick überall ein: Wenn ich Springer sehe, überlege ich mir, wo ich als Rolfer ansetzen und welche faszialen Strukturen ich bearbeiten würde. Auch mein Pilates Training hat sich gewaltig geändert, seitdem ich Rolferin bin. Ich habe festgestellt, dass ich bei Pilates-Korrekturen faszial ein bisschen mitwirken kann. Häufig genügt ein einziger Griff, um noch etwas zu verbessern.
Der Rolfing Touch ist etwas ganz Besonderes und hat seine Berechtigung. Da können wir Rolfer stolz drauf sein. Manche Bewegungen, die beim Pilates Training nicht funktionieren, können struktureller Natur sein. Durch den Touch gebe ich eine Referenz, die den Leuten dabei hilft, zu verstehen, warum eine bestimmte Bewegung nicht so funktioniert, wie erhofft.
Sind unter deinen Rolfing® Klienten viele Sportler? Wie kannst du ihnen helfen?
Ja, Ich betreue sowohl Profisportler während als auch nach ihrer aktiven Phase sowie Hobbysportler. Vor allem Männer vertrauen mir, weil ich mich mit körperlichen Herausforderungen auskenne.
Ich begleite Personal Trainer, Wasserspringer, Skifahrer, Eishockeyspieler – wichtig ist, dass sie Bereitschaft zeigen, etwas an ihrem Körper zu verändern. Bei Profis in den Sportpausen oder nach der aktiven Phase schaue ich auf Bewegungsmuster, und helfe ihnen, ‚ihre Sportschuhe auch mal auszuziehen‘.
Auch Hobbysportler weisen häufig klassische Kompensationsmuster bei wiederholten Bewegungen auf – z.B. beim Tennis oder beim Golf. Dabei können andere Bereiche verkümmern. Wir schauen uns dann an, was sich präventiv machen lässt, damit man diese Sportart weiter machen kann, die man liebt.
Wie erklärst du deinen Klienten Rolfing®?
Rolfing ist so viel, aber ich erkläre es mit diesen einfachen Worten: ‚Rolfing ist Faszienarbeit mit Fokus auf die Verbesserung der Haltung, der Beweglichkeit und der Körperwahrnehmung. Schmerzen und chronische Verspannungen lassen sich mit Rolfing gut behandeln‘.
Als Rolfer habe ich ein tiefes Verständnis für die komplexen faszialen Verbindungen im Körper. Durch gezielte Arbeit an den verklebten Faszien werden diese geschmeidiger, so dass Bewegungseinschränkungen gelöst werden. So hat mein Klient die Freiheit, neue Positionen einzunehmen und adaptierfähig zu sein. Die 10er-Serie ist ein ganzheitliches Gesamtkonzept, das auch dazu beiträgt, die Körper-Eigenwahrnehmung zu verbessern.
Im Gegensatz zum Turmspringen oder Pilates gibt es beim Rolfing nicht die eine perfekte Haltung. Rolfing unterstützt die Resilienz, also die Fähigkeit, unterschiedliche Positionen einzunehmen, den Körper je nach Situation und Erfordernis adaptieren zu können.
Interviewpartnerin: Marion Reiff, Certified Rolfer®, Pilates Trainerin, Wassersprung Trainerin – Wien, Österreich
Interview und Bearbeitung: Sabine Becker
Foto: Copyright © Roland Pum
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